Mit 20 starten, mit 50 staunen: Warum lohnt sich der Frühstart beim Investieren? +++ Do’s & Don’ts die wirklich zählen!
Philip Gisdakis:
Kurz gesagt, Trading: sehr kurzfristig, Schwankungen. Es geht hier auch um Effekte, die sich nicht besonders gut analysieren lassen, die sich nicht rational analysieren lassen. Viel Psychologie, Panik an den Märkten etc.
Investieren ist eher rational, langfristig: Geschäftsmodelle analysieren und langfristig an der Profitabilität von Geschäftsmodellen partizipieren.
Es gibt einen Faktor, den man mit 20 hat: noch ganz viel Lebenszeit. Wenn ich mit einer Perspektive auf 40 oder 50 Jahre investieren kann, dann hat man über den Zinseszinseffekt einen ganz anderen Hebel bei der Rendite, als wenn man nur mit einer Perspektive von 10 oder 20 Jahren investiert.
Dieses frühe Anfangen mit Investitionen ist eigentlich der Schlüssel beim Vermögensaufbau.
Titus Kroder:
Hallo und herzlich Willkommen.
Tja, noch ist es tagsüber recht warm draußen, aber die Sommerpause ist doch allmählich vorüber – zumindest für uns beim HVB Markt-Briefing.
Wir hoffen, Sie hatten eine entspannte Zeit zu Hause oder auf Reisen und dass Sie sich nach dem Urlaub vielleicht auch etwas jünger fühlen, wenn Sie es ohnehin nicht schon sind.
Wir haben jedenfalls in der heutigen Ausgabe den mutigen Plan gefasst, noch einmal 20 zu sein. Genauer gesagt, folgen wir dem vielfachen Wunsch unserer Podcast-Hörer und Hörerinnen. Wir besprechen, wie man schon ab dem Alter von etwa 20 Jahren mit dem Aufbau von Vermögen beginnen kann.
Fest steht nämlich: In den letzten Jahren ist das Interesse an Investments in dieser Altersgruppe stark gestiegen.
Was sind die Do’s und was sind die Don’ts beim Investieren, wenn man noch studiert, in Ausbildung ist oder gerade den ersten Job hat?
Antworten gibt uns Philipp Gisdakis, Chefanlagestratege der HVB und Vater von zwei Kindern von noch nicht ganz 20 Jahren.
Er muss es eigentlich wissen, wie man das anstellt mit den ersten Schritten auf den Kapitalmarkt.
Hallo Philipp.
Philip Gisdakis:
Hallo Titus, ich grüße dich heute von der Insel Korfu und ich hoffe, dass man die Hühner vom Nachbarn nicht allzu laut hört.
Titus Kroder:
Hoffen wir auch. Also heute noch on workcation von einer hoffentlich noch sonnigen Insel.
Das Thema Vermögensaufbau in jungen Jahren hat ja recht viele Facetten.
Es gibt da dieses bekannte Spiel: Was würdest du dir von heute aus betrachtet raten, wenn du nochmal 20 wärst?
Genau das müssen wir heute leisten.
Versuchen wir uns das also mal vorzustellen: Die 20er – was charakterisiert diese Lebensphase mit Blick auf das Thema Investieren und Vermögensaufbau?
Philip Gisdakis:
Ja Titus, bei mir sind die Zwanziger ja schon ein bisschen her. Wie du schon gesagt hast, meine Kinder kommen da demnächst rein.
Ich kann mich aber noch gut daran erinnern.
Die Zwanziger sind eine Lebensphase, charakterisiert von wesentlichen Entscheidungen: Studium, Berufswahl, möglicherweise auch Partnerwahl, Familienplanung und so weiter.
Das kann schon einen erheblichen Einfluss auf die Investmenttätigkeit haben.
Denn sehr häufig, gerade am Anfang der 20er Jahre, wenn man noch im Studium oder in der Ausbildung ist, ist man möglicherweise von Unterstützungstätigkeiten, Zahlungen, BAföG etc. abhängig.
Das heißt, man hat nicht besonders viel Geld zum Investieren.
Außerdem: Das Thema Altersversorgung, was ja meistens mit 60 kommt, ist noch weit weg. Man möchte sich nicht damit beschäftigen.
Und deswegen spielt das häufig keine besonders große Rolle – damals bei mir auch nicht.
Ich habe mich, wenn ich mich zurückerinnere, um viele andere Dinge gekümmert und dafür interessiert.
Aber das Investieren mit den Zwanzigern ist deswegen wichtig, weil es einen Faktor gibt, den man mit 20 hat – anders als mit 50: noch ganz viel Lebenszeit.
Lebenszeit spielt beim Investieren eine Rolle.
Wenn ich mit einer Perspektive auf 40 oder 50 Jahre investieren kann, also von 20 bis 60 zum Beispiel, dann hat man über den Zinseszinseffekt einen ganz anderen Hebel bei der Rendite, als wenn man nur mit einer Perspektive von 10 oder 20 Jahren investiert.
Dieses frühe Anfangen mit Investieren ist eigentlich der Schlüssel beim Vermögensaufbau.
Titus Kroder:
Machen wir uns vielleicht auch schon mal klar, wie sehr es sich lohnen kann, mit so jungen Jahren die ersten Vermögensbausteine aufzumauern.
Vielleicht kannst du das mal in Zahlen ausdrücken – ein kleines Rechenbeispiel machen, an dem man sieht, was so ein früherer Start am Kapitalmarkt denn eigentlich ausmachen kann.
Philip Gisdakis:
Ich habe mal Folgendes gemacht:
Ich habe ein Szenario gerechnet, in dem ich sage, man investiert 100 Euro jeden Monat und schafft es, diese 100 Euro mit Zinseszins im langfristigen Durchschnitt mit 7,5 % zu verzinsen.
Wenn man mit 20 anfängt, jeden Monat 100 Euro in ein Portfolio zu investieren bei 7,5 %, dann hat man mit 60 insgesamt 48.000 Euro eingezahlt.
Der Portfoliowert liegt am Ende dieser 40 Jahre bei über 300.000 Euro.
Wenn ich erst mit 30 anfange, dann habe ich nur 36.000 Euro eingezahlt und der Wert des Portfolios mit 60 ist weniger als die Hälfte – etwa 135.000 Euro.
Man sieht: Frühes Anfangen hat eine große Wirkung.
Bei einer Rendite von 7,5 % verdoppelt sich das Portfolio alle zehn Jahre.
Wenn ich erst mit 30 anfange, fehlt mir ein Verdoppler.
Titus Kroder:
Du hast jetzt mit 7,5 % Rendite pro Jahr gerechnet.
Ist das denn realistisch, wenn man von einem Investment am Aktienmarkt ausgeht?
Philip Gisdakis:
Das ist vollkommen richtig. Ich habe 7,5 % aus zwei Gründen genommen:
Erstens: Bei etwa 7,5 %, das ist ein bisschen weniger – etwa 7,2 %, verdoppelt sich ein Investmentpreis alle zehn Jahre.
Zweitens: Aus historischer Perspektive ist das nicht unrealistisch.
Der MSCI World hatte in den letzten 50 Jahren eine Rendite von etwa 8,5 % – in Dollar gerechnet und ohne Steuern und Kosten.
Natürlich gibt es Schwankungen.
Aber die Aktienmärkte haben viele Krisen erlebt und trotzdem kommt man im langfristigen Durchschnitt auf eine Rendite um die 8 %.
Mit einem breit diversifizierten Portfolio ist das eine realistische Investmenthypothese.
Titus Kroder:
Lass uns den Zinseszinseffekt nochmal genauer beleuchten – vielleicht auch in Zahlen.
Und ein Wort zum sogenannten Durchschnittskosteneffekt, der auch eine Rolle spielt – der berühmte Cost-Average-Effekt.
Philip Gisdakis:
Den Zinseszinseffekt erkennt man am Beispiel, das ich eingangs gemacht habe:
Ich investiere über 40 Jahre 100 Euro im Monat – das sind 48.000 Euro.
Trotzdem ist mein Portfolio am Ende bei 300.000 Euro.
Das kommt daher, dass ich Dividendenzahlungen nicht entnehme, sondern wieder reinvestiere.
Wenn man 7,5 % nimmt und zehn Jahre investiert, hat man nicht 75 % Rendite, sondern etwa 100 % – also eine Verdopplung.
Der Durchschnittskosteneffekt spielt auch eine große Rolle:
Gerade Aktienmärkte schwanken stark.
Wenn ich regelmäßig jeden Monat kaufe, kaufe ich zu allen Kurshöchstständen, aber auch zu allen Kursniedrigständen.
Ich habe also einen günstigen Einstandszeitpunkt gewählt.
Wenn ich das diszipliniert mache – jeden Monat, ob es regnet oder schneit – dann kaufe ich auch zu Tiefstständen.
Titus Kroder:
Es war ja so, dass vor allem während der Pandemie die Trading-Apps sehr populär geworden sind, gerade in der Altersgruppe, über die wir reden – also Menschen in den Zwanzigern.
Und ich glaube, da müssen wir vermutlich mal einen Strich ziehen zwischen dem langfristigen Vermögensaufbau einerseits und dem eher kurzfristigen Trading.
Was unterscheidet das Trading, das die Handelsabteilungen der Banken ja jeden Tag auch selbst am Markt machen und dass man inzwischen selbst über Apps vom Handy aus machen kann, vom Investieren, vom Aufbau eines Vermögens?
Philip Gisdakis:
Trading ist eine Kapitalmarktaktivität – Kaufen und Verkaufen von Wertpapieren – die sehr kurzfristig ist.
Das kann bis hin zu Sekunden oder sogar Millisekunden gehen, wenn ich Algorithmic Trading betreibe.
Im klassischen Zeithorizont beim Trading hat man wenige Tage bis vielleicht wenige Wochen.
Das Ziel von Trading ist es, aus kurzfristigen Kursschwankungen Gewinne zu erzielen.
Ein Wertpapier sinkt um ein paar Prozent, dann kaufe ich es. Ein paar Tage später steigt es wieder, dann verkaufe ich es.
Ich habe also häufiges Kaufen und Verkaufen und nutze insbesondere Wertpapiere, die starke Kursschwankungen haben.
Ich brauche hochvolatile Assets.
Der Aufwand beim Trading ist sehr hoch: Marktbeobachtung, Analyse, technische Analyse, Chartanalyse.
Die Risiken sind relativ hoch, weil man stark abhängig von Kursschwankungen ist.
Psychologie spielt eine Rolle, es gibt viel Stress, schnelle Entscheidungen, Emotionen.
Kurzfristigkeit spielt beim Trading eine Rolle.
Trading ist nicht Investieren.
Investieren bedeutet: Ich kaufe ein Wertpapier, beteilige mich an einem Unternehmen mit einem profitablen Geschäftsmodell und möchte langfristig daran partizipieren.
Der Zeithorizont ist lang – Jahre, eher Jahrzehnte.
Ich möchte über Jahrzehnte hinweg in ein profitables Geschäftsmodell investiert sein.
Das Ziel ist Vermögensaufbau.
Der Weg: Entweder ein breit diversifiziertes Portfolio mit Hunderten von Aktien oder gezielte Einzeltitel, bei denen ich das Geschäftsmodell analysiere – nicht die Kursschwankungen.
Ich ziele nicht auf kurzfristige Schwankungen ab.
Die Schwankungen sind hier eher das Risiko.
Kurz gesagt:
Trading – sehr kurzfristig, Schwankungen, viel Psychologie, Panik an den Märkten.
Investieren – rational, langfristig, Geschäftsmodelle analysieren, an deren Profitabilität partizipieren.
Titus Kroder:
Wir sprechen gleich noch über die möglichen Assets – die Vermögensarten, in die man regelmäßig investieren könnte.
Aber zunächst ein Blick auf die Produkte, die da in Frage kommen.
Welche Finanzprodukte eignen sich besonders gut für den Vermögensaufbau, wie du ihn gerade beschrieben hast, in kleinen Schritten?
Und was sind die entscheidenden Vorteile dieser Produkte?
Philip Gisdakis:
Die Finanzinstrumente, die gut geeignet sind, sind solche, die eine gewisse Langfristigkeit und Stabilität bieten.
Die Grundlage sind sehr häufig Aktien.
Ich könnte in einzelne Aktien investieren, aber da habe ich den Aufwand, Entscheidungen zu treffen, welche Unternehmen das sein sollen.
Ich müsste den Nachrichtenfluss verfolgen.
Deswegen eignen sich insbesondere Finanzprodukte, die ein diversifiziertes Portfolio zur Verfügung stellen – zum Beispiel über Banken oder günstiger über ETFs.
Ein ETF – Exchange Traded Fund – bildet einen Aktienindex ab, wie den DAX, den STOXX Europe 600 oder den MSCI World.
Mit einem einzigen Instrument habe ich ein weltweit diversifiziertes Portfolio.
Das ist weniger stark von einzelnen Unternehmensrisiken abhängig, trotzdem aktienorientiert und liefert langfristige Rendite – wie die 8 % in den letzten 50 Jahren.
Titus Kroder:
Auch Investoren älterer Jahrgänge müssen entscheiden, welche Assets die richtigen sind, wo sie Potenzial sehen.
Man kann nach Branchen, Regionen oder Aktientypen gehen – zum Beispiel Wachstumsaktien oder dividendenstarke Aktien.
Wie entscheidet man da, wenn man nicht erst mal drei Jahre lang Research lesen möchte?
Philip Gisdakis:
Die Antwort ist individuell, weil sie mit der Risikotragfähigkeit der Anlegerin oder des Anlegers zu tun hat.
Es gibt Anlegertypen, die brauchen Risiko, wollen Kursschwankungen sehen.
Die nehmen riskantere Investments mit höheren Renditen.
Andere wollen es langsamer, verzichten auf etwas Rendite, haben aber weniger Schwankungen.
Im Idealfall hat man ein Produkt mit breiter Diversifizierung – über Unternehmen, Branchen, Regionen.
So partizipiert man breit.
Natürlich gibt es Phasen, in denen bestimmte Branchen besonders gut funktionieren – wie KI in den letzten fünf Jahren.
Dann kann man gezielt Produkte wählen, die sich darauf fokussieren – etwa einen Technologie-ETF.
Man kann das auch gleich in einem Ansparplan implementieren.
Oder man spart in einem breit diversifizierten Portfolio an und kümmert sich später um das Portfoliomanagement und Risikomanagement.
Titus Kroder:
Was ist denn, wenn mir das alles zu langsam geht – mit diesen kleinen Vermögensschritten?
Jeden Monat 50 oder 100 Euro in den ETF rein sparen.
Ich sehe auf TikTok, auf YouTube Leute, die haben mit 29 schon die erste Million auf dem Konto.
Warum soll ich das nicht auch so angehen – zum Beispiel mit Krypto-Assets oder Bitcoin?
Philip Gisdakis:
Viele haben im Bekanntenkreis Freunde, die die richtige Entscheidung getroffen haben und ein Vermögen mit Bitcoin gemacht haben.
Wichtig ist: Nicht entgangenen Erträgen hinterherweinen, sondern auf die Zukunft orientieren.
Es gibt jeden Tag Möglichkeiten.
Was sehe ich kritisch bei Bitcoin oder Trading-orientierten Strategien – dem klassischen „Get Rich Fast“?
Beim Investieren geht es um Langfristigkeit.
Ich möchte in etwas investieren, das ein funktionierendes Geschäftsmodell hat und mein Portfolio über Jahrzehnte trägt.
Gerade bei Bitcoin oder anderen Krypto-Assets bin ich mir bezüglich des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzens nicht sicher.
Krypto-Assets sind negative Cashflow-Geschäfte – sie brauchen viel Strom, um aufrecht erhalten zu werden.
Es gibt Risiken:
Vielleicht kommt eine Alternativlösung – etwa eine Digitalwährung der Zentralbank – und verdrängt Kryptowährungen.
Mir fehlt der langfristige wirtschaftliche Nutzen.
Ich investiere lieber in Unternehmen mit Produkten, die langfristig gebraucht werden und erfolgreich sind.
Titus Kroder:
Wie ist es eigentlich mit den Roboterberatern, die immer populärer werden?
Sind die zu empfehlen? Denn mit denen kann man ja auch vollautomatisch Vermögen aufbauen.
Philip Gisdakis:
Ein Robo-Advisor ist ein Vermögensverwalter, bei dem das Portfoliomanagement von einem Algorithmus gemacht wird – oft mit KI und Risikomanagement-Algorithmen.
Wichtig ist: Nach welchen Maßstäben werden Assets gemanagt?
Welche Kriterien gelten für Kauf, Verkauf, Risikoaufbau oder -abbau?
Viele Robo-Advisor hatten während der Corona-Pandemie oder beim Beginn des Ukraine-Kriegs keine gute Performance.
Sie orientierten sich stark an Risiken – also Kursschwankungen – und nahmen bei steigendem Risiko Kapital raus.
Das bedeutet: Verluste werden realisiert, man verkauft gefallene Assets und investiert in sichere.
Bei einer v-förmigen Krise – wie der Pandemie – ist man dann bei der Aufwärtsbewegung nicht mehr dabei.
Wichtig ist: Nach welchen Kriterien werden Entscheidungen getroffen?
Wenn nur nach Risikogesichtspunkten, kann das problematisch sein.
Es gibt gute Robo-Advisor, aber viele sind statisch und in Krisen nicht performant.
Titus Kroder:
Wie sieht das überhaupt aus mit den Informationsquellen?
Muss ich das Geschäft der Firmen in meinem ETF verstehen?
Wie finde ich schnell raus, was etwas taugt – jenseits dubioser Empfehlungen aus dem Internet?
Philip Gisdakis:
Das hängt vom Diversifizierungsgrad ab.
Wenn mein Portfolio aus wenigen Aktien besteht – 10, 15 oder 30 – wäre es nicht verkehrt, zu verstehen, was diese Unternehmen tun.
Viele Anlegerinnen und Anleger lesen Wirtschaftsmedien und verfolgen den Nachrichtenfluss.
Das ist sinnvoll.
Wenn ich aber einen breit diversifizierten Index über einen ETF kaufe, sind da hunderte Unternehmen drin.
Einige haben ein großes Gewicht – etwa im S&P 500.
Diese Unternehmen kennt man, sie sind in aller Munde.
Da kann ich Risiken verfolgen.
Es kommt darauf an, wie ich investiere.
Wenn ich Entscheidungen treffen möchte – etwa zur Risikosteuerung oder Umschichtung – sollte ich mich informieren.
Aber ich muss nicht die Bilanz-Pressekonferenzen von Microsoft, Google und Apple jedes Quartal verfolgen.
Ein regelmäßiger Blick in die Zeitung oder eine seriöse Quelle reicht.
Titus Kroder:
Sind ESG-Anlagen auch möglich, wenn man gerade mit dem Wertpapiersparen beginnt?
Also nachhaltige Anlagen, bei denen Unternehmen für Fonds ausgewählt werden, die umweltbewusst und klimaschonend wirtschaften.
Eignen sich solche Produkte für den Vermögensaufbau?
Philip Gisdakis:
Ja, die eignen sich natürlich.
Es gibt auch Indizes, die nach Nachhaltigkeitskriterien beeinflusst werden – etwa die SRI-Indizes im MSCI-Umfeld.
Interessant ist:
Wenn man über Investieren nachdenkt – über Jahre und Jahrzehnte – kommt automatisch der Gedanke:
Wie sieht die Welt in 40 Jahren aus?
Was hat sich verändert?
Was möchte ich mit meinen Investments beitragen – oder eben nicht?
Solche Gedanken kommen fast natürlich mit rein.
Man kann das ohne großen Aufwand in Ansparpläne integrieren – etwa durch einen ETF mit Nachhaltigkeitsfokus.
Titus Kroder:
Regelmäßig wo einzahlen – das klingt ja beim ersten Hören eher etwas unflexibel.
Wie schnell kann ich denn die Richtung ändern, wenn ich das Gefühl habe, ein anderes Produkt läuft besser, oder ich will mehr Risiko eingehen, oder eine bestimmte Branche hat plötzlich eine besonders gute Wertentwicklung?
Bin ich da flexibel in meinen Entscheidungen?
Philip Gisdakis:
Man ist natürlich flexibel in seinen Entscheidungen, denn man kann den Ansparplan anpassen.
Mein Weg ist ein anderer, den ich gewählt habe – für mich persönlich, aber auch für meine Familie, für meine Kinder.
Ich habe den Ansparplan eigentlich nie angefasst.
Ich habe immer in das breit diversifizierte, sogenannte riskante Asset – also in einen ETF auf weltweiten Aktienindex – investiert und das einfach laufen lassen.
Ich habe nur die Anspruchssumme angepasst – meistens nach oben, wenn eine Gehaltserhöhung kam.
Das Portfolio habe ich aber schon angepasst.
Wenn sich eine gewisse Summe angesammelt hat – 10.000 Euro, 15.000, 20.000 Euro – kann man das Portfolio umbauen.
Man kann einen Teil des Vermögens verkaufen und in andere Wertpapiere umschichten, um dem Portfolio einen thematischen Fokus zu geben.
Eine Überlegung, die ich jüngst hatte:
Durch das Investmentprogramm in Deutschland kam die Idee auf, dass insbesondere mittelständische Unternehmen – SMEs – profitieren könnten.
Dann kann man sagen: Davon möchte ich etwas kaufen und einen Teil des Vermögens – 5 %, 10 %, oder auch nur 3 % – in so ein Investment umschichten.
Das ist mein Weg:
Den Ansparplan so lassen, wie er ist.
Aus dem angesparten Asset etwas verkaufen und in einen anderen Vermögensgegenstand umschichten – etwa SMEs, einen KI-Fonds oder einen ETF auf Unternehmens- oder Staatsanleihen, um mehr Stabilität reinzubekommen.
Da kann man alle Dimensionen des Risikomanagements wählen.
Titus Kroder:
SMEs – das steht für kleine und mittelgroße Unternehmen.
Man hört ja immer wieder den Rat: 100 % minus Lebensalter – und damit kommt man zur jeweils angemessenen Aktienquote.
Würde also bedeuten:
Beim 20-Jährigen oder der 20-Jährigen – 100 minus 20 – 80 % Aktienquote.
Ist diese Regel noch sinnvoll aus deiner Sicht?
Philip Gisdakis:
Für mich halte ich diese Regel nicht mehr für zeitgemäß, weil sie individuelle Aspekte außen vorlässt – etwa die Risikotragfähigkeit.
Ich habe eine nette kleine Anekdote:
Vor ein paar Jahren habe ich das Portfolio meines Vaters und das meiner Frau umgestellt – auf eine Anlagestrategie mit 70 % Aktien und 30 % Fremdkapital.
Die Reaktion meiner Frau:
„70 % Aktien – das ist mir viel zu viel.“
Die Reaktion meines Vaters – damals bereits in seinen 80ern:
„Nur 70 % Aktien? Was will ich denn mit 30 % Fremdkapital? Ich habe mein Lebtag nie in Anleihen investiert. Ich möchte in Aktien investiert sein.“
Man sieht:
Auch jüngere Menschen wie meine Frau können eine Risikoperspektive haben, die weniger Aktien bevorzugt.
Und ältere Menschen können sagen: Ich möchte eine hohe Aktienquote.
Die Perspektive meines Vaters war:
„Mein Anlageportfolio ist nicht mehr für meinen Konsum, sondern für den meiner Erben.“
Und die haben eine langfristige Perspektive.
Deswegen möchte er, dass das Portfolio in Aktien entwickelt wird.
Dieser individuelle Aspekt geht bei starren Regelungen wie „100 minus Lebensalter“ verloren.
Er geht auch verloren, wenn man bestimmte Aufgaben vor sich hat – etwa ein Investmentportfolio, das in zwei Jahren ein Immobiliendarlehen abbezahlen soll.
Dann sollte man nicht 100 % minus Lebensalter Aktien haben, sondern deutlich weniger.
Denn wenn zu diesem Zeitpunkt ein Aktiencrash kommt, habe ich das Geld nicht mehr zur Verfügung.
Das ist mir zu starr.
Titus Kroder:
Jetzt abschließend nochmal bitte kompakt rekapituliert:
Wie geht das mit den ersten Schritten in den Vermögensaufbau?
Wie lautet das Grundrezept, das man befolgen kann, wenn man gerade ins Berufsleben startet und die 20 gerade überschritten hat?
Philip Gisdakis:
Meine Do's und Don'ts:
Do's:
- Früh anfangen.
- Auch kleine Summen bringen einen signifikanten Effekt, wenn ich sie über Jahrzehnte kumuliere – auch 25 Euro.
- Ein diversifiziertes Portfolio – zum Beispiel einen ETF nehmen, damit man sich nicht um Einzelanalyse kümmern muss.
- Langfristige Orientierung – es geht um Jahrzehnte.
- Investieren, nicht traden.
- Einen Ansparplan aufsetzen und diszipliniert laufen lassen.
- Den Durchschnittseinstandskosteneffekt mitnehmen.
Don'ts:
- Vorsicht bei nicht seriösen Informationsquellen – gilt besonders für Social Media.
- Keine Panikattacken bei Volatilität – Portfolio laufen lassen.
- Hochvolatile Investments ohne klare Perspektive vermeiden.
Mein Kochrezept:
Ich habe das für meine Kinder gemacht – gleich nach der Geburt.
Investmentportfolio aufgesetzt, Ansparplan genommen.
Die Großeltern wollten sich beteiligen.
Einfach jeden Monat 25 Euro in ein Investment – ich habe den MSCI World genommen, einen ETF.
Diszipliniert laufen lassen.
Der Ansparplan ist immer noch derselbe wie zur Geburt.
Ich habe das Portfolio immer wieder mal angepasst – etwa in SMEs oder einen KI-Fonds investiert.
Einfach aufsetzen, Dauerauftrag einrichten, laufen lassen.
Wenn man Interesse hat, kann man das Portfolio anpassen.
Wenn nicht, läuft es automatisch weiter.
Man hat viel Zeit für Studium, Ausbildung, Familienplanung – und trotzdem die Langfristigkeit von 30, 40 Jahren.
Bei 7,5 % Rendite verdoppelt sich das Portfolio etwa alle zehn Jahre.
Titus Kroder:
Kaufen Sie Aktien, nehmen Sie Schlaftabletten und schauen Sie die Papiere nicht mehr an. Nach vielen Jahren werden Sie sehen: Sie sind reich.
Das sind die etwas in die Jahre gekommenen Worte eines berühmten Investors, der heute 20-Jährigen kaum noch bekannt sein dürfte: André Kostolany.
Er trifft dennoch den Kern unseres HVB Markt-Briefings heute.
Langfristig denken, beharrlich investieren – wir haben es gerade gehört – hektische Entscheidungen vermeiden.
So gelingt Geldanlage, die über die Jahre oder Jahrzehnte gesehen vorzeigbare Ergebnisse zeigen kann.
Danke dir, Philipp, für die professionellen und auch familiären Insights heute.
Das war das HVB Markt-Briefing mit der Anleitung zum Vermögensaufbau in jungen Jahren.
Schreiben Sie uns, wenn wir diese Szenarien auch einmal für Investoren zum Beispiel ab 30 oder 40 oder älter durchspielen sollen.
markt-briefing@unicredit.de ist unsere E-Mail für Kommentare und Hinweise.
In 14 Tagen sind wir wieder am Start mit Einschätzungen zum aktuellen Geschehen in der Wirtschaft und am Finanzmarkt.
Einen guten Start in den Herbst wünschen wir schon mal.
Es verabschieden sich Philipp Gisdakis und Titus Kroder.
Machen Sie es gut und bis zum nächsten Mal.