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HVB Markt-Briefing – Audio vom 17.11.2025

‚Seltene Erden‘ & Halbleiter: Wie muss sich Europa neu aufstellen? +++ Börse: Ist die Chipbranche noch attraktiv?

Titus Kroder:

Hallo, zur aktuellen Ausgabe des HVB Markt-Briefings begrüßt Sie ganz herzlich Titus Kroder.

Ich nehme an, dass Sie diesen Podcast auf dem Handy, Ihrem Tablet oder einem Laptop anhören. Sie streamen uns vielleicht von der HVB-Webseite oder einer Podcast-Plattform, oder Sie haben sich die Episode heruntergeladen fürs Auto, den Sport oder die Mittagspause.

Warum sage ich das? Weil in den Prozessoren, Lautsprechern und Speichermedien der Geräte, mit denen Sie das tun, ganz bestimmte Metalle dafür sorgen, dass dies in hoher Qualität und zuverlässig funktioniert. Es sind die sogenannten seltenen Erden, die inzwischen nahezu überall in Produkten und Prozessen unseres Hightech-Alltags ganz Entscheidendes leisten.

Um die herausragende strategische Bedeutung dieser Stoffe für die Wirtschaft soll es heute hier im Podcast gehen. Sind diese 17 Metalle wirklich so selten, wie der Name es vermuten lässt? Wird Europa jemals wieder Selbstversorger werden bei Neodym, Lutetium, Scandium und wie sie alle heißen? Und kann ich eigentlich in diese oft wie magische Substanzen aus Fantasyfilmen klingenden Industrierohstoffe auch investieren?

Das und noch viel mehr fragen wir heute den Chefvolkswirt der HVB, Andreas Rees, und Chief Investment Officer Philipp Gisdakis. Hallo ihr beiden!

Andreas Rees:

Hallo, grüßt euch.

Philipp Gisdakis:

Hallo, ich grüß euch.

Titus Kroder:

Philipp, du hast in der Runde das tiefste Wissen, was die naturwissenschaftlichen Fakten rund um seltene Erden angeht. Du bist der Chefanlagestratege der HVB, aber auch promovierter Chemiker.

Daher die erste Frage an dich, die auch schon wirtschaftlich interessant ist, finde ich. Es gibt da oft Missverständnisse. Was sind eigentlich seltene Erden und sind die wirklich so furchtbar selten, wie sich das immer anhört?

Philipp Gisdakis:

Ja Titus, ich habe in der Presse schon auch manchmal Tabellen gesehen, in denen Elemente wie zum Beispiel Gallium, also auch ein anderer seltener Rohstoff, unter den seltenen Erden summiert wurden. Aber als Chemiker muss ich natürlich sagen: Bei den seltenen Erden sind 17 ganz spezielle Elemente gemeint. Wer vielleicht mal ein Periodensystem rausziehen will: Das sind die sogenannten Lanthanoiden, also diese breite Reihe im Periodensystem von 15 Elementen. Dazu kommen noch zwei Elemente der dritten Hauptgruppe, das sind dann 17 insgesamt.

Natürlich ist es so, es gibt auch andere Elemente, wichtige Rohstoffe, die selten beziehungsweise schwer zu bekommen sind. Übrigens ganz wichtig: Seltene Erden sind gar nicht so selten. Sie sind nicht seltener als Edelmetalle und auch gar nicht so viel seltener als viele Industriemetalle.

Ich mache mal ein kurzes Beispiel: Cer, das ist eines der Lantanoiden, kommt mit 66 ppm, also Parts per Million, in der Erdkruste vor. Neodym, ein weiteres Element der seltenen Erden, 38 ppm. Aber wenn wir zu wichtigen Industriemetallen gucken, wie zum Beispiel Zink mit 70 ppm, in derselben Größenordnung, Kupfer nur 60 ppm, Blei nur 14.

Und wenn wir jetzt auf die Edelmetalle gucken: Gold und Platin mit 0,004 und ein anderes wichtiges Element, zum Beispiel Uran, mit 2,7 ppm in der Erdkruste. Als Gegenvergleich Eisen oder Aluminium: Eisen mit 82.000 ppm, Kalzium mit 41.000.

Also die sind gar nicht so wahnsinnig selten. Aber sie sind selten in dem Sinne, dass sie sehr fein verteilt vorkommen. Es gibt nicht viele Lagerstellen auf der Welt mit einer höheren Konzentration, sodass es sehr teuer und umweltbelastend ist und sehr spezielle industrielle Prozesse benötigt, um aus den geschürften Erzen die Stoffe herauszulösen und in industriell brauchbaren Mengen herzustellen.

Titus Kroder:

Also gar nicht so seltene Erden. Ich habe schon angedeutet: Elektronik, Mikroelektronik ist ein Massenanwendungsfall für seltene Erden. Für welche konkreten Produkte und Abläufe braucht die Industrie diese Metalle und was ermöglichen diese Stoffe? Für Laien ganz kurz erläutert.

Philipp Gisdakis:

Da muss ich jetzt eine gewisse Aufzählung machen. Ganz grob kann man es clustern in Magnete, Halbleiter, Katalysatoren und Legierungen beziehungsweise Gläser. Katalysatoren spielen natürlich bei Autokatalysatoren und Abgaskatalysatoren eine Rolle, aber auch in der Energie werden Katalysatoren verwendet. Dann zum Beispiel Legierungen wie in der Luft- und Raumfahrt, besonders effiziente Legierungen, oder auch Gläser und Keramiken, da spielen sie auch eine wichtige Rolle.

Industriell und für unser Leben, so wie du das gerade in deiner Eingangsmoderation genannt hast, sind insbesondere die Magnete und die Halbleiter wichtig. Jetzt hätte man denken können: Magnete, was soll denn das? Ein nettes Spielzeug. Aber die spielen industriell eine sehr große Rolle, zum Beispiel in Elektromotoren und in Elektroautos. Und dann nicht nur im Elektroantrieb vom Auto, sondern ganz viele Elektromotoren sind in Autos verbaut.

Da sind wir natürlich auch in Themen wie Robotik, wo wir ganz präzise Elektromotoren brauchen, oder eben auch bei den Dynamos, also Windkrafträder, Turbinen. Überall dort sind hocheffiziente Magnete verbaut.

Es gibt auch Magnetbedarf in Dingen wie Medizintechnik. Wir kennen zum Beispiel das MRT, das heißt Magnetresonanztomografie, oder auch in Sensoren wie zum Beispiel im Smartphone steckt es drin. Der Grund, warum wir die brauchen: Magnete mit seltenen Erden ermöglichen eine sehr hohe und beständige Magnetisierung, sind sehr temperaturstabil und ermöglichen sehr kleine und leichte Magnete.

Auch in der Halbleiterindustrie braucht man seltene Erden. Damit werden Halbleiter, also Siliziumkristalle, mit entsprechenden Elementen dotiert, damit sie elektrische oder optische Eigenschaften haben, aus denen man Chips herstellen kann oder LEDs, Laser, Leuchtmittel.

Ganz zum Schluss gibt es auch noch zum Beispiel in Optiken für Kameras oder gefärbte Gläser den Bedarf an seltenen Erden, weil die bestimmte optische Eigenschaften oder bestimmte Farben erzeugen. Gegebenenfalls spielen sie auch bei bestimmten Batterien eine Rolle.

Also eine sehr breite Anwendung. Da, wo es wirklich relevant ist, sind Magnete für Elektromotoren und Dynamos, aber eben auch in Halbleitern.

Titus Kroder:

Seltene Erden sind also wirtschaftlich betrachtet durchaus ein strategischer Rohstoff. Das zeigt auch das Abkommen, das die USA gerade mit dem wichtigsten Lieferland für seltene Erden, China, ausgehandelt haben.

Diese Stoffe sind nicht grundsätzlich selten, sagst du, aber in der Industrie verwendbaren Aufbereitungen eben doch knapp und teuer. Kann man diese Metalle nicht durch etwas anderes ersetzen? Wie weit ist da die Materialforschung und gibt es vielleicht auch ganz andere neue Lieferländer?

 

Philip Gisdakis:

Naja, es gibt schon auch andere Magnete, die klassischen Ferritmagnete, aber die haben natürlich nicht die gewünschten Eigenschaften. Und es gibt auch zu anderen Themen, wie zum Beispiel in der Halbleitertechnologie. Ich habe die LEDs angesprochen, die eine bestimmte Farbe haben, wie die man zum Beispiel eben in monochromatischen Monitoren und so weiter braucht.

Da gibt es dann schon auch Forschung zu anderen Dingen, zum Beispiel organische LEDs, die OLED-Displays, die eine gewisse Rolle spielen. Aber die Technologien sind halt noch nicht so weit. Man könnte auch von Recycling sprechen, aber auch da gibt es natürlich noch nicht Prozesse, wo man sagt, okay, das funktioniert schon im großen Maßstab.

Man könnte natürlich auch in anderen Ländern abbauen. Derzeit werden etwa 14 Prozent der seltenen Erden in den USA, 5 bis 6 Prozent in Australien und in Myanmar abgebaut, aber eben zwei Drittel der globalen Produktion des Abbaus in China.

Also ich sage, aus der klassischen Sicht Kapitalmarkt-Anleger-Perspektive: Alles, was die kommenden ein, drei oder fünf Jahre betrifft, ein klares Nein. So schnell lassen sich keine alternativen Rohstoffquellen oder alternative Technologien finden. Das liegt aber an der kurzen Frist und weniger an der Technologie.

Das ist eine kurze Frist von Jahren. Langfristig lassen sich natürlich viele Dinge ändern, und das ist volkswirtschaftlich wichtig. Ich glaube, da kann der Andreas sicherlich noch ein bisschen mehr dazu sagen.

Titus Kroder:

Andreas, lass uns die seltenen Erden mal etwas ökonomischer betrachten. Zuletzt hatten sich China und die USA mit massiven Handelsbeschränkungen gegenseitig behakt. Nun hat man sich aber auf einen Deal geeinigt. China wird neben anderen Maßnahmen als großer Produzent der seltenen Erden seine Exportkontrollen auf die Metalle zunächst aufgeben, und die USA werden im Gegenzug die gegen China verhängten Zölle ein Stück weit senken.

Soweit der Deal. Entspannung ist an diesem Punkt also erstmal erreicht. Ein weiterer Konflikt spielt hier aber rein, auf den wir gleich noch genauer zu sprechen kommen, nämlich den um den Chip-Hersteller Nexperia. Denn in der Halbleiterproduktion werden ja, wie gesagt, auch seltene Erden eingesetzt.

Aber zunächst mal gefragt: Ist das Abkommen, das Donald Trump mit Chinas Regierung da unterzeichnet hat, eine stabile Lösung deiner Meinung nach? Bleibt es da nun 2026 ruhig, oder sollte man sich da nicht ganz so sicher sein?

Andreas Rees:

Ja Titus, das war sicherlich ein wichtiger Deal, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Aber ich denke mal, das wird vermutlich nicht von Dauer sein. Bei den Lieferketten bei Halbleitern, das hat sich schon etwas entspannt. Bei den seltenen Erden und auch anderen kritischen Mineralien, da sind wir auch gerade dabei, also das kommt dann hoffentlich auch wirklich bald. China will die Exportkontrollen lockern, allerdings auch nicht komplett aufgeben, das darf man nicht vergessen.

Also das ist kein umfassender Friedensvertrag, sondern das ist eine Atempause, ein taktischer Deal zwischen den USA und China, um Zeit zu gewinnen. Wenn ich mir das so anschaue: Strukturell, das Misstrauen ist nach wie vor da, das bleibt, und natürlich bleibt auch die geopolitische Rivalität zwischen den USA und China, denn die meisten Streitpunkte sind nach wie vor ungelöst. Stichwort die amerikanischen Verbote für Hightech-Exporte nach China oder zum Beispiel Chinas Industriesubventionen. Das ist alles gar nicht Bestandteil von diesem Deal oder nur so ein bisschen am Rande. Man hat das versucht, etwas ausgeblendet.

Also man hat im Prinzip die Symptome behandelt. Die Amerikaner haben die Zölle auf chinesische Produkte etwas gesenkt, aber eben nicht vollkommen aufgehoben. China hat seine neuen Exportverbote aus dem Oktober für wichtige Metalle jetzt erstmal ausgesetzt, aber die Betonung liegt auf Oktober, denn China dreht ja schon seit längerem an den Daumenschrauben. Es gab auch schon Exportkontrollen aus dem April, und davon ist zum Beispiel in dem Deal gar keine Rede. Also, sowohl die USA als auch China setzen jetzt nicht wieder alles auf Null zurück. Das wäre zu schön.

Was man auch nicht vergessen darf: Das ist bislang nur eine mündliche Vereinbarung, die dann für ein Jahr gelten soll. Der Deal könnte dann wieder für ein Jahr verlängert werden, wenn wir irgendwann eine schriftliche Vereinbarung haben.

Aber realistischerweise muss man damit rechnen, dass wir über kurz oder lang wieder Spannungen kriegen.

Titus Kroder:

Wie ist das denn ganz grundsätzlich betrachtet? Die USA wollen unter Donald Trump deutlich unabhängiger von Importen und Zulieferungen aus China werden. Da wird ja im gegenwärtigen Weißen Haus gerne viel Erfolg gefeiert. Aber wie sehen denn die nüchternen Fakten aus, gerade bei wichtigen Industrierohstoffen oder auch seltenen Erden, Mikrochips und so weiter, andere Güter? Wird da die Entkoppelung vorangehen, deiner Meinung nach?

 

Andreas Rees:

Absolut ja. Die Entkoppelung gerade in den strategischen Sektoren wird weitergehen, wenn wir zum Beispiel die Technologie uns anschauen. Die USA verbieten China den Zugang zu den wirklich sehr hochentwickelten Halbleitern. Gleichzeitig investiert China aber auch massiv, um eigene Chips zu entwickeln. Dann, was wir gerade schon angesprochen haben, bei den sehr wichtigen Rohstoffen, den seltenen Erden, da ist das ganz ähnlich. Da sitzt China dann wieder am längeren Hebel.

Also das heißt: Längerfristig gedacht, wir werden wohl noch mehr getrennte volkswirtschaftliche und technische Systeme sehen, auch separate Standards. Und wenn man dann wirklich vielleicht sehr, sehr langfristig denkt, vielleicht kriegen wir auch irgendwann mal parallele Finanzsysteme. Das ist für China sicherlich noch ein weiter Weg.

Die Amerikaner werden das Finanzsystem in den nächsten Jahren sicherlich immer noch ganz klar dominieren. Aber vielleicht kommt das dann auch irgendwann.

Titus Kroder:

Das Ganze nennt sich dann Entglobalisierung als Trend, und bei den physischen Lieferketten ist das gar nicht mal so einfach. Der Fall des Chip-Herstellers Nexperia ist ja gerade groß durch die Presse gegangen.

Auch da kam es zum Konflikt zwischen Europa und China, der sich inzwischen erstmal wieder entspannt hat. Aber kannst du mal an diesem Beispiel erläutern, wie komplex diese kritischen Zulieferungen laufen und dass es gar nicht so einfach ist, die Abhängigkeiten so schnell zu entwirren?

Andreas Rees:

Ja, also ich versuche mal von dem Grundsätzlichen anzufangen und dann zu dem konkreten Beispiel zu kommen mit Nexperia.

Also erstmal, was wirklich gut ist: Wir haben jetzt die Atempause bei Halbleitern, bei den seltenen Erden, das kommt. Aber wie gesagt, eine Entwarnung für nächstes Jahr und darüber hinaus kann man nicht geben. Grundsätzlich kann man sagen, was man sehr schön beobachten konnte die letzten Wochen – also schön ist es natürlich nicht, aber man konnte es gut sehen: Die Europäische Union sitzt wirklich zwischen den Stühlen und bekommt gleichzeitig Druck aus den USA und aus China.

Das heißt, Europa befindet sich in einer Art Sandwich-Position, Druck von beiden Ländern.

Sicherheitspolitisch und wirtschaftlich sind wir nach wie vor stark von den USA abhängig. Wenn die USA Druck machen nach dem Motto „Schließt euch unseren Maßnahmen gegen China an“, dann kann Europa nicht einfach Nein sagen. Das hat man sehr schön die letzten Wochen gesehen. Auf der anderen Seite ist China wirtschaftlich auch enorm wichtig für Europa als Lieferant und Absatzmarkt.

Und jetzt komme ich zu dem konkreten Beispiel bei Nexperia, einem Halbleiterunternehmen, das in den Niederlanden produziert, sich aber im chinesischen Besitz befindet. Und um die Sache noch komplizierter zu machen: Die sind auch in die chinesischen Lieferketten integriert. Und was ist da passiert? Die Amerikaner haben Druck auf die niederländische Regierung ausgeübt.

In einem wirklich einmaligen Schritt für europäische Verhältnisse hat die niederländische Regierung Nexperia unter ihre Kontrolle gestellt. Das hatten wir bislang noch nicht, aufgrund des Drucks der Amerikaner. Daraufhin hat natürlich China reagiert und vorübergehend die Lieferketten von Nexperia kontrolliert und ausgesetzt.

An dem Beispiel kann man sehr schön sehen: Europas Position ist wirklich heikel. Und dieser Spagat, den wir jetzt sehen, der Europäer, der wird immer schwieriger, je mehr sich die Amerikaner und die Chinesen voneinander abkoppeln.

Titus Kroder:

Was sollte denn Europa in dieser sich entkoppelnden Weltordnung für sich tun, um unabhängiger zu werden? Sollen wir in Deutschland zum Beispiel jetzt die eigenen seltenen Erden in Sachsen ausbeuten? Da gibt es tatsächlich nachgewiesene Vorkommen. Sollen wir mehr Chipfabriken errichten? Was würde mehr Eigenständigkeit erzeugen in der EU?

Andreas Rees:

Was du gerade angesprochen hast: Von allem auf jeden Fall etwas. Es geht hier generell gesprochen um die strategische Autonomie, also die Fähigkeit von uns Europäern, wirtschaftlich und politisch wieder etwas eigenständiger zu handeln, ohne vollkommen von den beiden Supermächten USA und China abhängig zu sein. Das ist natürlich jetzt ganz einfach gesagt, aber unglaublich schwer umzusetzen. Die ersten Ansätze sind da. Wir haben zum Beispiel in der Verteidigungspolitik den Ansatz, stärker gemeinsam europäisch zu handeln. Es gibt zum Beispiel das sogenannte SAFE-Programm.

SAFE steht für Security Action for Europe. Da wird ein Finanzierungsprogramm aufgelegt für 150 Milliarden Euro. Und diese Finanzierungszusagen sind daran gekoppelt, dass die einzelnen europäischen Länder wirklich ausschließlich in Europa ihre Verteidigungsgüter kaufen. Das ist schon mal gut.

Europa könnte natürlich auch noch gezielter wirtschaftliche Allianzen mit anderen mittelgroßen Mächten schließen, einfach um den Handel und auch diese multilateralen Regeln, die China und die USA jetzt immer stärker brechen, zu verteidigen. Im Prinzip macht das die Europäische Union: Sie kooperiert mit Japan, mit Kanada, sie hält an den WTO-Regeln weitgehend fest.

Die Europäische Union versucht sich Richtung Autonomie zu bewegen. Aber wir stehen da ganz am Anfang, und der Fortschritt ist zäh.

Titus Kroder:

Zum Beispiel hat die Unternehmensberatung McKinsey kürzlich veröffentlicht, dass in diversen Branchen in Deutschland unter dem Strich bis zu 4 Millionen Arbeitsplätze an den zuverlässigen Lieferungen der seltenen Erden aus China abhängen.

Philipp hat gerade gesagt, dass Ersatzmaterialien noch nicht zur Verfügung stehen oder zumindest nicht schnell genug. Und das bedeutet doch, wir sind auch die nächsten Jahre auf Gedeih und Verderb auf China als Lieferant angewiesen. Wird das so sein, deiner Meinung nach?

Andreas Rees:

Ja, das ist natürlich frustrierend, aber das ist erstmal so. Wir werden von der Abhängigkeit Chinas nicht drüber hinwegkommen. Das braucht wirklich Zeit. Denn China hat über Jahre oder sogar Jahrzehnte eine vollständige Wertschöpfungskette, zum Beispiel bei seltenen Erden oder auch bei anderen kritischen Mineralien, aufgebaut. Angefangen vom Bergbau über die Veredelung bis hin zu den Hochleistungsmagneten.

Diese Dominanz ist strategisch erworben, teilweise geologisch vorgegeben, aber eben nicht ausschließlich. Denn Philipp hat es ja schon gesagt: Reserven gibt es auch in anderen Ländern, nicht nur in den USA, auch in Brasilien, in Indien oder Australien.

Aber was eben auch das Problem ist: China dominiert die Veredelung dieser kritischen Mineralien. Zum Beispiel bei den seltenen Erden hat China bei der Veredelung einen globalen Marktanteil von rund 90 Prozent. Also 90 Prozent – das ist das eigentliche Nadelöhr. Es geht dabei nicht nur um die seltenen Erden, sondern auch um andere kritische Mineralien. China kontrolliert hier weite Teile der Batteriewertschöpfung, also Lithium, Kobalt und so weiter, und baut hier auch die Exportlizenzen aus.

Damit hat China eine enorme Hebelwirkung auf die Energie- und die Autoindustrie bei uns in Europa oder auch teilweise in den USA. Diese Kombination aus Exportlizenzen und der Tatsache, dass es für viele Hightech-Anwendungen erst einmal keine Alternative gibt zu den seltenen Erden und anderen Mineralien, gibt Peking eine enorme Verhandlungsmacht. Das ist eine geoökonomische Waffe.

Titus Kroder:

Eine dieser seltenen Erden trägt übrigens den hübschen Namen Europium. Wie lange würde es denn theoretisch dauern, sich zu entkoppeln, oder sind da jetzt alle Hoffnungen für Europa verloren? Es gibt ja doch Beispiele dafür, dass es gelingen kann. Und zwar gibt es ein konkretes Beispiel vor der Haustür Chinas. Könnten wir diesem Beispiel nicht folgen?

 

Andreas Rees:

Ja, grundsätzlich: Der Aufbau von alternativen Bezugsquellen, zum Beispiel bei seltenen Erden, ist natürlich möglich. Aber das wird, wie gesagt, viele Jahre dauern, bevor wir eine Wirkung sehen werden. Und das muss man auch sehen: Ohne staatliche Subventionen wird das nicht gehen.

Stand heute haben wir in der Europäischen Union den sogenannten Critical Raw Materials Act und auch ein Programm für strategische Rohstoffreserven. Das heißt, man will weltweit neue Partnerschaften für Rohstoffe, für seltene Erden und andere Mineralien eingehen. Ich habe ja schon die Länder genannt: Neben Australien und Kanada sind auch die Ukraine und afrikanische Länder dabei.

Philipp hat es ja schon gesagt: Die Europäische Union setzt auch auf Kreislaufwirtschaft und das Recycling von Metallen. Es wird außerdem darauf gesetzt, gemeinsame Beschaffungsprojekte auf den Weg zu bringen, um weniger erpressbar zu werden gegenüber den Förderländern.

Also es gibt schon die Anstrengung. Aber auf der anderen Seite hat die Europäische Kommission selbst vor kurzem gesagt, dass sie mit dem Fortschritt beim Critical Raw Materials Act nicht zufrieden ist.

Man darf auch nicht vergessen, dass China hier einen Patent- und Technologievorsprung hat. Den kann man nicht einfach so innerhalb von wenigen Monaten oder ein oder zwei Jahren aufholen. Man kann Boden gut machen. Du hast es gerade angesprochen: Es gibt ein schönes Beispiel dafür, nämlich Japan vor der Haustür Chinas. China hat Japan 2010 bei den seltenen Erden sehr stark unter Druck gesetzt, und Japan hat daraufhin umgeschwenkt und die Diversifizierung vorangetrieben. Mittlerweile kommen mehr als die Hälfte der seltenen Erden und auch der kritischen Mineralien nicht mehr aus China. Aber wie gesagt: Das geht nicht von heute auf morgen.

Deshalb ist auch ein vollständiger Bruch mit China für Europa keine Option – und nicht einmal für die Amerikaner.

Titus Kroder:

Philipp, das Metall Gallium hat dich als Kind schon nachhaltig geprägt, und zwar familiär. Vielleicht kannst du das nochmal kurz aufgreifen und als heutiger Chief Investment Officer mir auch gleich eine Antwort geben, wo ich denn nun eine solche ‚Erde‘ für das Portfolio kaufen kann. Denn die Wertentwicklung ist ja gar nicht so schlecht. Gallium hat in manchen Jahren schon Preissprünge von 50 Prozent erzielt. Derzeit liegt der Preis etwa bei 1.500 Dollar für das Kilo. Wie kann ich also da investieren?

 

Philip Gisdakis:

Ich selbst kenne mich wissenschaftlich nicht besonders gut mit Gallium aus. Meine eigene Doktorarbeit war zu einem anderen Element, das nennt sich Rhenium. Aber wie du gesagt hast: Familiär war das prägend, denn mein Vater ist Physiker und war in der Halbleiterforschung tätig.

Sein Spezialgebiet war der Gallium-Arsenid-Halbleiter, und er war so begeistert, dass er immer wieder davon erzählt hat. Möglicherweise war das dann auch ein Anlass für mich, letztendlich Chemie zu studieren. Zu Gallium noch: Dieser Gallium-Arsenid-Halbleiter ist tatsächlich ein wichtiger Halbleiter mittlerweile, der zum Beispiel im Mobilfunk eingesetzt wird. Die LTE- und 5G-Chips basieren auf Gallium-Arsenid-Halbleitern, auch eine andere Gallium-Verbindung, Gallium-Nitrid-Halbleiter, wird zum Beispiel in den meisten USB-Ladegeräten eingesetzt.

Und weil wir über Vorkommen gesprochen haben: Gallium kommt in der Erdkruste mit 19 ppm, also Parts per Million, vor. Das ist weniger als Cer und Neodym, wie ich vorher genannt habe, also die seltenen Erden, aber ungefähr so viel wie Lithium.

Du hast mich gefragt, ob man das handeln kann. Gallium und andere seltene Rohstoffe kann man nicht an normalen Warenterminbörsen handeln. Es gibt spezielle Märkte, an denen man das handeln kann, aber das sind Märkte, die für Anleger nicht erreichbar sind. Wenn man in solche Rohstoffe investieren möchte, dann geht das über Aktien von Minen und anderen rohstofforientierten Unternehmen, wie zum Beispiel Rohstoffhändlern. Man muss allerdings wissen, dass es für seltene Erden gar nicht so wahnsinnig viele Unternehmen gibt. Wie ihr gehört habt, wird vieles von wenigen dominiert. Und wenn man darin investiert, hat man ein hohes Einzelunternehmensrisiko.

Was man gerade bei rohstoffnahen Investitionen in Unternehmen berücksichtigen muss, ist, dass Rohstoffunternehmen häufig Geschäfte in sogenannten Low- und Middle-Income-Countries machen, also in ärmeren Ländern, die wirtschaftlich und politisch schwierig sein können. Es kann sein, dass man eigentlich die richtige Idee hatte – der Rohstoff ist gefragt –, aber das Unternehmen hat ein anderes Problem, und deswegen geht die Wette am Kapitalmarkt nicht auf. Aber wie gesagt: Das ist der Weg, wie man das machen kann. Es ist allerdings nicht unriskant.

 

Titus Kroder:

Abschließend gefragt und auch um das Thema abzurunden: Wie sieht es eigentlich mit der Halbleiterbranche und Investments dort aus? Wenn da so viele Chips benötigt werden, dass gleich eine Chipkrise ausgerufen wird, wenn die Lieferungen mal stoppen, wäre das nicht auch ein gutes Finanzinvestment? Welche Rolle spielt diese Branche in der Vermögensverwaltung bei euch?

Philip Gisdakis:

Das war zumindest ein gutes Finanzinvestment, und wir glauben, dass es das immer noch sein wird. Deswegen sind wir da auch investiert.

Jetzt ist es allerdings wichtig zu wissen, dass der Halbleitersektor ein diverser Sektor mit ganz unterschiedlichen Geschäftsmodellen ist. Da gibt es Unternehmen, die zum Beispiel Wafer herstellen, aber auch Chip-Hersteller, aber eben auch Ausrüster, die Ausrüstungsgegenstände machen, die für Chip-Hersteller wichtig sind. Ich nenne da jetzt mal einen Namen: ASML zum Beispiel, typischerweise zur Halbleiterbranche zugerechnet. Was da wichtig ist: Das ist ein europäisches Unternehmen. In Europa gibt es in der gängigen Sektor-Rotation keinen eigenen Halbleitersektor, sondern das ist ein Subsektor zur Infotech-Branche, genauer gesagt zur Hardware- und Equipment-Branche.

Wenn man sich die Performance in Europa anschaut: Tech hat year-to-date etwa 6 % gemacht. Darin waren allerdings die Halbleiterfirmen Outperformer – zwischen 15 und 40 Prozent haben die entsprechend geliefert. Aber wie gesagt: In Europa nicht übermäßig dominant, in den USA schon. Da haben sie year-to-date 45 Prozent gemacht.

Also die Semiconductor-Unternehmen im S&P 500: 45 Prozent und deutlich outperformt den S&P 500, der etwa 16 Prozent bisher performt hat, alles in Dollar-Terms. Aber was ganz wichtig ist: Das ist schon auch eine volatile Branche, denn in Q1 haben die Halbleiterunternehmen erstmal 30 % abgegeben, also schon sehr volatil.

Und die Frage, die dahinter steht, ist natürlich: Steckt hinter dieser Kursentwicklung möglicherweise eine Blase? Denn gerade die Kunden aus dem KI-Bereich sind wichtige Kunden und eine wichtige Nachfrage nach Chips. Und die Frage ist natürlich: Sind diese Unternehmen, diese Chip-Hersteller oder diese KI-Unternehmen in der Lage, diese Nachfrage nach Chips langfristig so zu finanzieren, wie das im Moment gerade an den Märkten eingepreist ist?

Es gibt viele Diskussionen darüber, ob das eine Bubble ist oder nicht. Es gibt einige hohe Bewertungen. Wir denken nicht, dass es wirklich eine Blase ist, aber man muss da schon vorsichtig unterwegs sein. Aber ich sage jetzt mal so, Titus: Um das ganz umfassend zu beleuchten, bräuchte man vermutlich eine weitere Folge von unserem Podcast.

Titus Kroder:

So, und wer jetzt von euch beiden als Erster die 17 seltenen Erden unter 10 Sekunden hersagen kann, den lade ich bald auf einen Glühwein ein. Keine Sorge, ich mache den Test ein anderes Mal mit euch.

Trotzdem herzlichen Dank an Andreas Rees und Philipp Gisdakis, den Experten der HVB. Neodym, Yttrium und Scandium sind wichtig für unser technologiegetriebenes modernes Leben, und die Verwender dieser Rohstoffe müssen derzeit gut die Geopolitik im Blick behalten.

Über kritische Rohstoffe werden auch wir im Markt-Briefing nicht zum letzten Mal heute gesprochen haben, da bin ich sicher. Das war es von uns, vom Team Markt-Briefing. Die nächste Folge gibt es am 1. Dezember zum Download. Immer dran denken: Seltene Erden machen es möglich.

Tschüss und bis zum nächsten Mal sagen:

 

Andreas Rees:

Andreas Rees

 

Philip Gisdakis:

Philipp Gisdakis

Titus Kroder:

Und Titus Kroder. Machen Sie es gut.