Sabine Braun ist Geschäftsführerin der Agentur akzente – Part of Accenture in München, die seit 25 Jahren Unternehmen in allen Fragen der Nachhaltigkeit berät. Über 350 Nachhaltigkeitsberichte hat akzente erstellt, darunter viele für mittelständische Unternehmen.
Im Interview mit der HVB erklärt die erfahrene Beraterin, warum es sich für Unternehmen lohnt, jetzt in Nachhaltigkeit zu investieren, welche Fehler sie vermeiden sollten und was sie stattdessen tun sollten. Das Interview können Sie in der Video Galerie anschauen:
Welchen Stellenwert hat Nachhaltigkeit im Mittelstand?
Mittelständische Unternehmen behaupten oft von sich, per se nachhaltig zu sein. Das stimmt nur halb. Natürlich denken sie in längeren Zeiträumen als börsennotierte Unternehmen. Sie wollen das Unternehmen an die nächste Generation weitergeben. Sie handeln oft auch sozial verantwortungsbewusst, weil sie sich ihrem Umfeld, ihrem Standort mehr verbunden fühlen. Und sie leben ihre Überzeugung konsequent und schaffen damit starke Marken. Nicht von ungefähr stammen beispielsweise die Ökopioniere wie Hipp oder Neumarkter Lammsbräu aus dem Mittelstand.
Jetzt kommt ein ganz großes "Aber":
Der Mittelstand hat große Widerstände gegenüber Bürokratie und Transparenz. Das bremst in vielen Unternehmen die Auseinandersetzung mit neuen Anforderungen. Inzwischen merken viele, wie wichtig Nachweise nachhaltigen Handelns gegenüber Kund:innen geworden sind. Doch Vorgaben vom Staat lehnen die meisten ab und erkennen dann erst spät, dass ein frühzeitiger Umgang damit auch Nutzen schafft.
Sabine Braun im Interview
Welche Hindernisse für Nachhaltigkeit bestehen in mittelständischen Unternehmen?
Nachhaltigkeit wird im Mittelstand nur gelebt, wenn der:die Chef:in dafür ist. Wo das der Fall ist, sind die Unternehmen sehr gut aufgestellt. Manchen Inhabern gilt Nachhaltigkeit aber auch als Schnickschnack, der vom eigentlichen Geschäft ablenkt und nur Kosten für Berater:innen verursacht. Dass beispielsweise Transparenz über ein solides Nachhaltigkeitsreporting auch Transaktionskosten senken und Mitarbeiter:innen motivieren kann, wollten viele lange nicht sehen.
Man richtet im Mittelstand ungern eine Stelle ein, die keinen Beitrag zur Wertschöpfung leistet. Das braucht es aber – und zwar mit klarem Commitment und dauerhafter Unterstützung von der Unternehmensleitung. Sonst können Sie Nachhaltigkeit im Unternehmen nicht konsequent verfolgen und daraus auch einen echten Nutzen ziehen. Es bleibt dann beim Klein-Klein, Projekte versanden – und es wird das Vorurteil bestätigt, dass es nichts bringt.
Wo sehen Sie den größten Handlungsbedarf in Sachen Nachhaltigkeit?
Am dringendsten ist der Handlungsbedarf sicher beim Klimaschutz. Da gibt es jetzt klare politische Ziele. Unternehmen sollten nun rasch ihren CO2-Fußabdruck ermitteln und dann Maßnahmen erarbeiten, wie sie ihren CO2-Ausstoß über die ganze Wertschöpfungskette hinweg im Einklang mit den politischen Zielen vermeiden, reduzieren und kompensieren können. Es gibt viele Möglichkeiten, die Energieversorgung umzustellen, beispielsweise über Blockheizkraftwerke oder Photovoltaikanlagen, um indirekte CO2-Emissionen, beispielsweise in der Logistik, zu reduzieren.
Ein großes Thema ist die Mitarbeiterverantwortung: Weiterbildung wird im Mittelstand oft unterschätzt. Aber die Digitalisierung macht eine solche notwendig bis hin zu den Älteren. Für die junge Generation braucht es flexiblere Arbeitszeitmodell und für Eltern die Möglichkeit, mehr im Home Office zu arbeiten. Da fehlt im Mittelstand oft das Verständnis und die Infrastruktur. Dabei sind hier die Nachwuchssorgen besonders groß. Mit der Coronakrise lernen nun viele Unternehmen allerdings rasch und schmerzhaft, wie Arbeit digital zu organisieren ist.
Was heute ebenfalls schon stark spürbar ist: Die Notwendigkeit, stärker in Kreisläufen zu denken und Materialien umzustellen – sprich, vor allem den Anteil von Plastik in Produkten und Verpackungen zu reduzieren. Definitiv kommen wird auch eine bessere Nachweisführung darüber, was ein Unternehmen tut, um seine Lieferkette verantwortungsbewusst zu gestalten.
Warum braucht ein mittelständisches Unternehmen eine Nachhaltigkeitsstrategie?
Die Frage ist falsch gestellt. Jedes Unternehmen braucht eine Strategie, um mit den Entwicklungen und Anforderungen der nächsten zehn bis 20 Jahre umzugehen. Es braucht deshalb keine eigene Nachhaltigkeitsstrategie, sondern vielmehr eine Unternehmensstrategie, die die wachsende Bedeutung von Nachhaltigkeitsaspekten einbezieht. Das ist der richtige Weg. Denn Nachhaltigkeit ist längst in der Mitte der Gesellschaft und in der Mitte der Wertschöpfung angekommen. Wer sein Unternehmen an die nächste Generation weitergeben will, kann sich dieser Erkenntnis nicht entziehen. Er kann seine Produkte nicht mehr endlos mit Plastik umwickeln, ausschließlich Zulieferteile für Verbrennermotoren fertigen und Gleichstellung als feministischen Popanz abtun. Nachhaltigkeit heute ernst zu nehmen, heißt sein Unternehmen zukunftsfest zu machen.
Wo besteht der größte Investitionsbedarf?
Für den Klimaschutz bedarf es je nach Branche unterschiedlich hoher Investitionen. Die einen müssen ihre Energieerzeugung umstellen, die anderen ihren Fuhrpark und wieder andere müssen vor allem auf Ökostrom und Kompensationsmaßnahmen zurückgreifen. Alle aber müssen mehr in Digitalisierung und Weiterbildung investieren. Das nützt auch der Transparenz und dem Engagement und Know-how der Mitarbeiter in Sachen Nachhaltigkeit. Dann in Prozesse und Projekte. Prozesse, um stringent und kennzahlenorientiert zu steuern – und Nachhaltigkeit als Mindset zu etablieren. Projekte, um mit diesem Mindset neue Ideen und Konzepte zu entwickeln.