Unter den oben dargelegten fundamentalen Faktoren gibt es einige, die Signale für eine stärkere Verlangsamung der US-Wirtschaft aussenden. Mit dem jüngsten US-Arbeitsmarktbericht hat die so genannte Sahm-Regel eine Schwelle überschritten, die historisch eine bevorstehende Rezession in den USA anzeigt. Während die Sahm-Regel zwar eine Rezession vorhersagt, sagt sie nichts über die Dauer und Tiefe einer Rezession aus. Zu beachten ist allerdings auch, dass ein erheblicher Teil des Anstiegs der Arbeitslosenquote auf eine höhere Erwerbsbeteiligung und nicht auf einen reinen Stellenabbau zurückzuführen ist.
Auch wenn mehrere wichtige Wirtschaftsindikatoren auf eine Verlangsamung der US-Wirtschaft hindeuten, sehen wir keine messbaren wirtschaftlichen oder finanziellen Ungleichgewichte, die eine ausgeprägte Kontraktion rechtfertigen würden. Darüber hinaus gibt es bisher keine Nachrichten über weit verbreitete und dauerhafte Entlassungen im US-Unternehmenssektor, und die Bilanzen von Unternehmen und privaten Haushalten sind im Allgemeinen nach wie vor solide. Schließlich wissen wir nicht, ob die wirtschaftlichen Warnsignale tatsächlich auf einen Abschwung hindeuten oder ob sie noch Teil eines Normalisierungsprozesses sind.
Da sich der Leitzins der Fed auf dem höchsten Stand seit mehreren Jahrzehnten befindet, verfügt die US-Notenbank auch über ein gut ausgestattetes Instrumentarium, um einer konjunkturellen Abschwächung mit Zinssenkungen zu begegnen. Auf ihrer letzten Sitzung am 31. Juli, zwei Tage vor der Veröffentlichung des Arbeitsmarktberichts, der den starken Ausverkauf mit auslöste, kündigte die Fed mehr oder weniger eine Zinssenkung im September an, falls sich der Arbeitsmarkt weiter spürbar abkühlen sollte.
Diese Aussage führte zusammen mit dem Arbeitsmarktbericht und dem Ausverkauf an den Märkten zu einem schnellen und deutlichen Rückgang der Renditen von Staatsanleihen. Es erscheint fraglich, ob der Rückgang der längerfristigen US-Renditen stärker ausgefallen wäre, wenn die Fed die Zinsen bereits auf ihrer letzten Sitzung gesenkt hätte.
Die aktuelle Marktstimmung stellt damit aus unserer Sicht kein völlig neues Szenario für die US-Wirtschaft dar. Vielmehr handelt es sich um eine Rückkehr zu einem Szenario, das bereits vor einigen Monaten diskutiert wurde: eine weiche Landung. Wie erwähnt gab es vor einiger Zeit eine Verschiebung der Szenarien von einem Soft-Landing-Basisszenario (mit einem Hard-Landing-Risikoszenario) hin zu einem No-Landing-Basisszenario.
Die jüngsten Datenveröffentlichungen bringen das Soft-Landing-Szenario wieder ins Spiel. Während ein solches Szenario für die Märkte im Allgemeinen keine Katastrophe darstellen dürfte, würden die großen westlichen Zentralbanken in einem ungünstigeren Szenario, in dem sich die Spannungen an den Finanzmärkten stärker negativ auf die Realwirtschaft auswirken könnten (durch höhere Unsicherheit und Risikoaversion), als „Notbremse“ eingreifen. So verfügen Fed und EZB über einen potenziellen Zinssenkungsspielraum von etwa 200 bzw. 150 Basispunkten, bevor sie den neutralen Bereich erreichen, und diese „Feuerkraft“ kann bei Bedarf schnell eingesetzt werden. Das Soft-Landing-Szenario ist nach wie vor wahrscheinlich, denn obgleich einige bedeutende Konjunkturindikatoren eine Verlangsamung anzeigen, gibt es keine signifikanten Ungleichgewichte, keinen Konjunktureinbruch und das makroökonomische Umfeld zeigt sich nach wie vor recht robust.
Letzteres wird durch eine solide Berichtssaison für das zweite Quartal 2024 untermauert, die trotz bereits ambitionierter Erwartungen insgesamt durch eine Reihe von positiven Gewinnüberraschungen gekennzeichnet war, während mehrere Unternehmen einen vorsichtigeren Ausblick für Nachfrage und Konsum gaben. Nicht nur die Unternehmensgewinne in den USA haben zugelegt; auch die Umsätze sind deutlich gestiegen, so dass sich insgesamt ein recht robustes Bild ergibt.
Die Markterwartungen waren jedoch zu optimistisch und spiegelten die (eigentlich bekannten) Risiken nicht angemessen wider. Wie dargelegt wurden schlechte Wirtschaftsdaten in einigen Fällen sogar als gute Nachrichten interpretiert, weil sie Zinssenkungen der Zentralbank wahrscheinlicher erscheinen ließen. Eine Neubewertung der Risiken ist daher verständlich und gesund.
Die offensichtliche Sorge von Anlegern und Investoren besteht darin, dass nicht klar ist, wo diese Neubewertung enden wird, wenn sie einmal vor dem Hintergrund einer wirtschaftlichen Abschwächung begonnen hat. Hinzu kommt, dass diese Neubewertung in einer Zeit geringer Marktliquidität (d.h. während der Urlaubssaison) stattfindet, in der nur wenige Investoren bereit sind, Chancen zu ergreifen, bevor sich die Lage stabilisiert hat.
Vorerst ist daher mit einer Phase erhöhter Volatilität zu rechnen. Die starken Schwankungen, insbesondere aufgrund der Auflösung des Yen-Carry-Trade, könnte Kollateralschäden in Märkten verursachen, die ansonsten nicht direkt betroffen wären – einfach deshalb, weil einige Anleger möglicherweise nicht betroffene Positionen auflösen müssen, um das Risiko von Verlusten an anderer Stelle zu steuern.
Dementsprechend dürfte das derzeitige Umfeld erhöhter Unsicherheit noch eine Weile anhalten, bis Gewissheit über die Politik der Zentralbanken, das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahlen und die von uns erwartete Stabilisierung der Wirtschaft wieder für ein gewisses Maß an Vertrauen sorgen. Wenn unsere Erwartungen richtig sind und es in den USA zu einer Verlangsamung, aber nicht zu einer Rezession kommt, das Wachstum in Europa bis 2025 allmählich wieder anzieht und die Disinflation anhält, dürften die Aktienmärkte aber auf einem soliden Fundament stehen und unterstützt bleiben.
Sobald sich die Aufregung gelegt und die Transparenz verbessert hat, könnte die jüngste Neubewertung sogar einige interessante Opportunitäten bieten. Multi-Asset-Investoren mit ausgewogenen Anleihen- und Aktienportfolios sollten diese Chancen im Blick haben, denn die gute Nachricht der jüngsten Risikoreduzierung ist, dass das traditionelle Korrelationsmuster, bei dem Gewinne bei festverzinslichen Wertpapieren durch Verluste beim Aktienanteil des Portfolios ausgeglichen werden, intakt bleibt.
Folglich können Gewinne bei festverzinslichen Wertpapieren potenziell genutzt werden, um in Aktien zu günstigeren Bewertungen einzusteigen. Und für Anleger, die während der Rally im ersten Halbjahr an der Seitenlinie standen und es versäumt haben, ihre in Cash geparkte Liquidität zu nutzen, könnte der Ausverkauf eine Gelegenheit sein, ihre Einlagen in Erwartung sinkender Zinsen in Wachstumschancen umzuwandeln.
Für uns im Vermögensverwaltungs- und Asset-Management-Team der UniCredit bleibt die grundlegende Anlagehypothese bis 2024 und darüber hinaus intakt, da wir von der wirtschaftlichen Abkühlung in den USA nicht überrascht wurden. Wir empfehlen eine Übergewichtung von Anleihen (die zuletzt stark erholt haben) und eine Marktgewichtung von Aktien bei gleichzeitiger Untergewichtung von Cash. Wir sehen keinen Grund, diese Strategie zu ändern. Da sich die europäische Wirtschaft weiter stabilisieren sollte (was bei einer sanften Landung in den USA der Fall wäre), dürften die Auswirkungen der globalen Volatilität auf die europäischen Märkte begrenzt sein.